Die UVB-Kollektor-Hypothese der Androgenetischen Alopezie


Autor: Siegfried Schmitt <Siegfried.Schmitt@KIT.EDU>

Zusammenfassung: Die UVB-Kollektor-Hypothese der Androgenetischen Alopezie (AGA) bietet eine plausible Erklärung für die Entstehung der männlichen Glatze aus evolutionsbiologischer Sicht. Dabei wird die männliche Glatze als eine genetische Anpassung an starke saisonale Schwankungen der Intensität der natürlichen UVB-Strahlung interpretiert, die sich im Laufe der Evolution des Menschen als Kompensationsmechanismus durch natürliche Selektion herausgebildet hat. Durch ihre spezielle Form und die räumliche Ausrichtung wirkt die vollständig ausgebildete männliche Glatze beim aufrechten Gang wie ein Solarkollektor, der für die Absorption von UVB-Strahlung optimiert ist. Daher wurde für diese Hypothese die Bezeichnung "UVB-Kollektor-Hypothese der Androgenetischen Alopezie" gewählt. Die UVB-Kollektor-Hypothese kann also erklären, warum die männliche Glatze im Laufe der Evolution des Menschen entstanden ist und wieso sie im Endstadium meist ihre charakteristische Form aufweist. Die Rolle der männlichen Glatze im Zusammenhang mit der sexuellen Reproduktion wird diskutiert. Der entscheidende Faktor ist dabei die durch Calcitriol erhöhte Motilität der Spermien, die eine Befruchtung der Eizelle wahrscheinlicher macht. Es wird hier als bekannt vorausgesetzt, dass der Calcitriol-Spiegel über die Reaktionskette von 7-Dehydrocholesterol, Prävitamin D3, Calciol, Calcifediol zu Calcitriol indirekt von der absorbierten UVB-Strahlendosis abhängt. Somit ist die männliche Glatze aus der Perspektive der UVB-Kollektor-Hypothese weder eine gewöhnliche Mangelerscheinung noch ein Strahlenschaden, sondern eine erfolgreiche genetische Anpassung an den saisonalen Mangel an UVB-Strahlung. Die durch Calcitriol erhöhte Motilität der Spermien stellte im Laufe der Evolution des Menschen den entscheidenden Vorteil für die Selektion der Androgenetischen Alopezie dar. Aufgrund dieser Überlegungen wird ein einfaches mathematisches Modell zur Berechnung der Form der Randkurve der männlichen Glatze vorgeschlagen. Ferner werden praktische Ratschläge zur Verzögerung der Glatzenbildung gegeben.

Schlüsselwörter: Androgenetische Alopezie, AGA, Geheimratsecken, Tonsur, Glatze, Spermatozoen, Spermien-Motilität, cis-Urocaninsäure, Dihydrotestosteron, DHT, Isoklinen-Modell, Hufeisenform, UVB-Strahlung, Poynting-Vektor, Sonnenzenitwinkel, Dorno-Strahlung, UVB-Kollektor-Hypothese, sexuelle Reproduktion, 7-Dehydrocholesterol, Prävitamin D3, Lumisterol, Tachysterol, Vitamin D, Calciol, Calcifediol, 25-Hydroxyvitamin D, Calcitriol, Evolution, natürliche Selektion, Spermienkonkurrenz

Keywords: androgenetic alopecia, AGA, receding hairline, male-pattern baldness, MPB, UVB-collector hypothesis, cis-urocanic acid, cis-UCA, dihydrotestosterone, DHT, isocline model, horseshoe, UVB radiation, Poynting vector, solar zenith angle, widow's peak, tonsure, spermatozoa, sperm motility, sexual reproduction, 7-dehydrocholesterol, previtamin D3, Lumisterol, Tachysterol, vitamin D, Calciol, Calcifediol, 25-hydroxyvitamin D, Calcitriol, evolution, natural selection, sperm competition


Zur Einführung möchte ich die Argumente darlegen, die für die hier vertretene Hypothese sprechen:

  1. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die im Jahr 2011 veröffentlichte Beobachtung von Martin Blomberg Jensen[1][2][3][4], dass die Motilität der Spermatozoen von Vitamin D abhängt. Diese Entdeckung muss geradezu als bahnbrechend bezeichnet werden. Die Motilität der Spermatozoen ist der entscheidende Faktor für die Befruchtung der Eizelle. Damit ist die Verbindung zwischen männlicher Fruchtbarkeit und natürlicher UVB-Strahlung hergestellt. Im Bereich der Tiermedizin ist schon lange bekannt, dass Tiere, die in Zoos oder Terrarien leben, mit Hilfe von künstlicher UVB-Strahlung zur Produktion von Nachwuchs angeregt werden können. Auch hier dürfte die durch Vitamin D gesteigerte Motilität der Spermatozoen die entscheidende Rolle spielen.

  2. In nördlichen Breiten tritt bei bestimmten Gruppen von Personen regelmäßig ein saisonaler Vitamin-D-Mangel auf und zwar insbesondere in den Monaten Februar, März und April. Dieser saisonale Vitamin-D-Mangel wurde zum Beispiel von Hintzpeter[5] (2008) für Deutschland nachgewiesen. Bereits 1994 hatte Maxwell[9] einen Artikel zu diesem Thema veröffentlicht. In den Monaten Februar und März sollte dann auch die Motilität der Spermien - speziell bei Männern mit niedrigem Calcifediol-Spiegel - besonders gering sein. Der saisonale Vitamin-D-Mangel ist (mit zeitlicher Verzögerung um einige Monate) die Folge des saisonalen Mangels an UVB-Strahlung. Im Zeitraum von Oktober bis März ist (in Deutschland) der UVB-Anteil am Sonnenlicht, der die Erdoberfläche erreicht, extrem niedrig (sogenannter "UVB-Winter"). Das regelmäßige Auftreten eines saisonalen Vitamin-D-Mangels in großen Teilen der Bevölkerung steht in krassem Widerspruch zur etablierten Lehrmeinung, dass ein Vitamin-D-Mangel eine eher seltene Erscheinung sei. Strittig ist der genaue untere Grenzwert für 25-Hydroxyvitamin D (Calcifediol) im Blut, ab dem von einem echten Vitamin-D-Mangelzustand ausgegangen werden muss. Die Angaben für diesen Grenzwert erstrecken sich über einen Bereich von 10 ng/ml bis 32 ng/ml. Hollis[6] (2005) schlägt einen Grenzwert von 32 ng/ml (entsprechend 80 nmol/l oder 32 µg/l) vor.

  3. Die Produktion von Prävitamin D3 in der Haut ist von der Dosis der UVB-Strahlung (Dorno-Strahlung, so genannt nach Carl Dorno) abhängig, die die "Keimschicht" der Haut (Stratum spinosum und Stratum basale) erreicht. Dabei wirkt die senkrecht auf die Hautoberfläche auftreffende UVB-Strahlung besonders stark, weil schräg auftreffende UVB-Strahlung zum Teil schon in der Hornschicht (Stratum corneum) deutlich stärker absorbiert wird. Die Wirkung der UVB-Strahlung (und damit die Produktion von Prävitamin D3) ist daher an den Stellen der Haut besonders stark, an denen der Normaleneinheitsvektor eines kleinen Flächenstücks der bestrahlten Haut antiparallel zum Poynting-Vektor der einfallenden UVB-Strahlung steht. Diese Bedingung ist beim aufrechten Gang und bei entsprechendem Sonnenstand an mindestens einem Punkt der unbedeckten Kopfhaut erfüllt. Die Umwandlung von 7-Dehydrocholesterol zu Prävitamin D3 erfolgt bei einer Wellenlänge von circa 298 Nanometern (Kimlin[7], 2008). Man muss also den Poynting-Vektor der UVB-Strahlung genau bei dieser Wellenlänge betrachten. Ferner ist bekannt, dass ein Grenzwert für die notwendige UVB-Strahlendosis zur Erzeugung von Prävitamin D3 existiert. Erst wenn die UVB-Strahlendosis in der Haut diesen Schwellenwert von 18 mJ/cm2 überschreitet, wird in nennenswertem Umfang 7-Dehydrocholesterol in Prävitamin D3 umgewandelt (Hollis[6], 2005). Das bedeutet aber, dass bei schwacher UVB-Einstrahlung nur ganz bestimmte Teile der Haut Prävitamin D3 produzieren können - nämlich nur diejenigen, die eine optimale Neigung zur Sonne hin aufweisen. Mit diesen Voraussetzungen lässt sich ein mathematisches Modell zur Beschreibung der Form der männlichen Glatze begründen.

  4. Im Frühjahr (März/April) ist die Intensität der UVB-Strahlung noch gering und daher wird bei Sonnenbestrahlung der Haut in nördlichen Breiten bei kurzen Bestrahlungszeiten noch keine vollständige Sättigung der Produktion von Prävitamin D3 in der Haut erreicht. Die Ursache dieses Phänomens ist die starke Absorption von UVB-Strahlung in der Ozonschicht beim schrägen Durchgang durch die Atmosphäre. Es kommt also nur sehr wenig UVB-Strahlung auf der Erdoberfläche an, solange die Sonne weniger als circa 45 Grad über dem Horizont steht. Dieser Umstand bewirkt, dass die UVB-Strahlung im Verlauf eines Jahres bevorzugt unter ganz bestimmten Einfallswinkeln als Direktstrahlung auf der Kopfhaut auftrifft. Betrachten wir zum Beispiel die Situation am 49. Breitengrad (in Karlsruhe oder Paris). Wenn man im Scheitelpunkt der Schädelkalotte das Lot errichtet und dann die Haupteinfallsrichtungen der UVB-Strahlung in einem Kugelkoordinatensystem ermittelt, so ergibt sich, dass im Juni am Sommeranfang die UVB-Strahlen um die Mittagszeit unter einem Winkel (Poldistanzwinkel oder Sonnenzenitwinkel "Theta" vom Lot ab gemessen) von circa 25 Grad einfallen. Dieser erste Grenzwinkel ergibt sich einfach aus dem höchsten Sonnenstand am Sommeranfang, wenn man die Winkel-Differenz zwischen der geografischen Breite (im Beispiel 49 Grad) und dem nördlichen Wendekreis (etwa 23,4 Grad) berechnet: 49 Grad - 23,4 Grad = 25,6 Grad. Wenn die Sonne tiefer steht, so wird die UVB-Strahlung immer mehr abgeschwächt, so dass bei einem Sonnenzenitwinkel von etwa 45 Grad die zweite Grenze liegt. Dieser zweite Grenzwinkel wird im April und September gerade noch erreicht und sein genauer Wert wird durch die Höhe des Standortes über dem Meeresspiegel bestimmt. Im Hochgebirge kann dieser Grenzwinkel deutlich größer sein (z. B. 55 Grad). Die Situation am 21. Juni eines Jahres (Sommeranfang) ist schematisch in der folgenden Skizze dargestellt. Die Dorno-Strahlung fällt also am Sommeranfang in einem schmalen Winkelbereich zwischen circa 25 Grad und 45 Grad (immer vom Lot ab gemessen) als Direktstrahlung ein. Wenn man den Schädel nun um das Lot herum rotieren lässt, so ergibt sich bei senkrechter Projektion des angegebenen Winkelbereiches auf die unbedeckte Kopfhaut eine optimal mit Dorno-Strahlung bestrahlte Fläche, die wie ein Kranz um den Kopf geschlungen ist. Für Winkel unter 25 Grad tritt praktisch keine direkte Dorno-Strahlung auf und für Winkel über 45 Grad ist der Anteil der Dorno-Strahlung sehr klein, so dass im Winkelbereich von 45 Grad bis zum Horizont (90 Grad) hauptsächlich UVA-Strahlung auftritt. Die UVA-Strahlung trägt jedoch nicht zur Produktion von Prävitamin D3 bei. Diese Betrachtung macht klar, warum die männliche Glatze zur Absorption von UVB-Strahlung optimal geformt und ausgerichtet ist und sie macht plausibel, warum die Entwicklung der männlichen Glatze meist mit den sogenannten Geheimratsecken beginnt. Die Geheimratsecken liegen ziemlich genau in dem angegebenen Winkelbereich von 25 bis 45 Grad, in dem die Dorno-Strahlung mit maximaler Wirkung (senkrecht) auf der Kopfhaut auftrifft. Die nackte Kopfhaut ist unter diesen Bedingungen als UVB-Kollektor besonders gut geeignet, weil beim aufrechten Gang im Freien praktisch immer ein Hautbezirk auf der Schädelkalotte zur Sonne hin ausgerichtet ist. Die schwache UVB-Strahlung im Frühling kann bei vorhandener Glatze also optimal zur Bildung von Prävitamin D3 genutzt werden. Im April trifft die UVB-Strahlung nur in einem sehr schmalen Winkelbereich um 45 Grad herum (plus/minus circa 5 Grad) senkrecht auf der Kopfhaut auf. Dies wird durch eine Computersimulation der natürlichen UVB-Strahlungsverhältnisse im Frühling (etwa am 15. April um die Mittagszeit in Karlsruhe) besonders deutlich gezeigt. In der Simulation sind die Bereiche der Kopfhaut, in denen statistisch die höchsten Konzentrationen von Prävitamin D3 zu erwarten sind, gelb eingefärbt. Das kranzförmige Bestrahlungsmuster auf dem Oberkopf zeigt, warum sich die Geheimratsecken seitlich am Oberkopf nach hinten ausbreiten. Die voll ausgebildete männliche Glatze kann deshalb nach Form und Ausrichtung als ein natürlicher UVB-Kollektor betrachtet werden. Die genaue Form der Glatze wird einerseits durch die Kopfform und andererseits durch die Bewegungen des Kopfes im UVB-Strahlungsfeld bestimmt und sie ist damit der Berechnung mit Hilfe mathematisch-statistischer Methoden zugänglich.

  5. Die Ausbildung der männlichen Glatze sollte im Laufe der Evolution des Menschen durch natürliche Selektion begünstigt worden sein, weil Männer mit Glatze im Frühjahr schneller voll bewegliche Spermien produzieren können. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Befruchtung der Eizelle, weil die Motilität der Spermien der entscheidende Faktor für die erfolgreiche Befruchtung ist (Spermienkonkurrenz). Selbst eine nur geringfügige Steigerung der Befruchtungswahrscheinlichkeit würde sich nach tausend bis zweitausend Generationen stark zugunsten der Männer mit Glatze auswirken. Die UVB-Kollektor-Hypothese ist also definitiv eine genetische Hypothese - die Fähigkeit zur gezielten Ausdünnung des Kopfhaares an den entscheidenden Stellen der Kopfhaut ist ein vererbbarer Kompensationsmechanismus und kann als eine erfolgreiche Strategie im Rahmen der Spermienkonkurrenz betrachtet werden.

  6. Die Fähigkeit, durch gezielte Ausdünnung des Kopfhaares an den entscheidenden Stellen eine UVB-Kollektorfläche herzustellen, schützt den alternden Mann vor dem Verlust seiner Zeugungsfähigkeit, da mit zunehmendem Alter des Mannes sowohl die Anzahl als auch der Schweregrad der durchlaufenen saisonalen Vitamin-D-Mangelzustände zunehmen. Die männliche Glatze ist also keine "Schwäche", sondern eine besondere "Stärke". Die männliche Glatze sollte deshalb nicht als "Strahlenschaden" oder als eine gewöhnliche "Mangelerscheinung" betrachtet werden, sondern als ein erfolgreicher Kompensationsmechanismus zur Erhaltung bzw. Steigerung der männlichen Fruchtbarkeit unter der Bedingung des saisonalen UVB-Mangels.

Aufgrund der hier vorgestellten Argumente möchte ich nun ein einfaches mathematisches Modell zur Bestimmung der Form und Ausrichtung der männlichen Glatze vorschlagen, das ich als das Isoklinen-Modell der Androgenetischen Alopezie bezeichne, weil sich bei der senkrechten Projektion der angegebenen Grenzwinkel auf die Kopfhaut bei Rotation des Kopfes um die z-Achse Linien gleicher Neigung (sogenannte Isoklinen) ergeben. Dieses Modell basiert auf der Überlegung, dass die Haargrenze der männlichen Glatze im Endstadium zumindest näherungsweise der 45-Grad-Isokline (grüne Linie im Bild) folgt. Um also näherungsweise den Verlauf der Haargrenze für eine gegebene Kopf-Form zu ermitteln, muss man lediglich den Verlauf der 45-Grad-Isokline auf der Kopfhaut für zwei Grenzfälle (aufrechte Kopfhaltung und Neigung des Kopfes um etwa 20...40 Grad nach vorn) betrachten. Für die aufrechte Kopfhaltung ergibt sich bei Rotation des Kopfes um die z-Achse ein optimal mit UVB-Strahlung versorgter Bereich zwischen der 25-Grad-Isokline (blaue Linie) und der 45-Grad-Isokline (grüne Linie). Dieser Bereich ist im Bild rot schraffiert und stellt die eigentliche UVB-Kollektorfläche dar. Nun kommt aber noch die Nickbewegung des Kopfes hinzu und dadurch verschieben sich die beiden Isoklinen um den Nickwinkel von circa 20...40 Grad nach hinten auf den Bereich des Hinterkopfes. Es sollte nicht zu schwierig sein, diese Bewegung in einem Rechnermodell zu simulieren. Die Ausdünnung des Kopfhaares sollte dann im Endstadium der männlichen Glatze genau in den Bereichen am stärksten ausgeprägt sein, die über einen Zeitraum von vielen Jahren der höchsten kumulierten Dosis von UVB-Strahlung ausgesetzt waren.

Falls bei der Entstehung der männlichen Glatze die UVB-Strahlung (genauer: die über lange Zeiträume im Zustand des saisonalen Vitamin-D-Mangels kumulierte UVB-Strahlendosis) tatsächlich eine entscheidende Rolle spielt, sollte man die Funktion der cis-Urocaninsäure in diesem Zusammenhang genauer untersuchen. Ich halte es für möglich, dass die lokale Produktion von cis-Urocaninsäure bzw. die lokale Konzentration der cis-Urocaninsäure in der Kopfhaut langfristig an der aktiven Unterdrückung des Haarwachstums auf der männlichen Glatze beteiligt sein könnte, aber das ist zur Zeit noch reine Spekulation. Es könnte auch die lokale Konzentration von Prävitamin D3 (oder weiterer Stoffe wie z. B. Lumisterol, Tachysterol) in der Kopfhaut sein, die dem Körper ein Start-Signal zur gezielten Ausdünnung des Kopfhaares gibt. Auf jeden Fall darf man die hier genannten Stoffe als "UVB-Indikatoren" betrachten, weil sie in hoher Konzentration genau dort auftreten, wo die Haut durch UVB-Strahlung mit ausreichender Intensität getroffen worden ist. Die biochemischen Details des Ausdünnungsmechanismus sind jedoch kein wesentlicher Bestandteil der UVB-Kollektor-Hypothese. Die Form der Glatze könnte auch selbst genetisch fixiert sein, so dass für den Ort der Ausdünnung gar kein "Signalstoff" notwendig ist. Wenn jedoch ein solcher "Signalstoff" (oder "Botenstoff") existiert, so ist eine Interaktion dieses Signalstoffes mit Dihydrotestosteron (DHT) zu erwarten. Daher möchte ich empfehlen, zukünftig die lokale Konzentration der hier genannten UVB-Indikatoren in der männlichen Kopfhaut mit Hilfe der Echtzeit-Raman-Spektroskopie genau zu untersuchen. Die lokale Konzentration dieses hier postulierten Botenstoffes sollte im Bereich der männlichen Glatze entlang der 45-Grad-Isokline im Frühling unter der Bedingung des saisonalen Vitamin-D-Mangels maximale Werte erreichen. Der aktive Ausdünnungsprozess der AGA startet vermutlich genau dort, wo die Kopfhaut, die sich noch im Zustand des saisonalen Vitamin-D-Mangels befindet, senkrecht von UVB-Strahlung getroffen wird.

Zur Bezeichnung der hier vorgestellten Hypothese möchte ich folgende Vorschläge machen:

- Die UVB-Kollektor-Hypothese der Androgenetischen Alopezie

- Kurzform: "Die UVB-Kollektor-Hypothese"

oder auf Englisch für Diskussionen auf internationaler Ebene:

- The UVB-collector hypothesis of male pattern baldness

- The UVB-collector hypothesis of male-pattern hair loss

- The UVB-collector hypothesis of androgenetic alopecia

- The UVB-collector hypothesis of androgenic alopecia

Die Bezeichnung "UV-B-Kollektor-Hypothese" (mit einem überflüssigen Bindestrich) habe ich übrigens erstmals am 22. Juli 2013 in einem öffentlichen Forum verwendet.

Die UVB-Kollektor-Hypothese ist aus meiner Sicht die erste Hypothese, die folgende Fragen beantworten kann:

1) Warum tritt die AGA vorwiegend bei Männern auf? Nur Männer müssen lebenslang bewegliche Spermien produzieren und sind in der Regel bis zum Lebensende zeugungsfähig. Es sollte also einen Mechanismus geben, der die Ausbildung des UVB-Kollektors auf das männliche Geschlecht einschränkt und dieser Mechanismus nutzt wahrscheinlich das Dihydrotestosteron (DHT). Die UVB-Kollektor-Hypothese erklärt den Zusammenhang zwischen männlicher Glatze und sexueller Reproduktion. Sie beantwortet damit erstmals schlüssig die Frage, welcher Zusammenhang zwischen der Androgenetischen Alopezie und männlicher Sexualität besteht.

2) Warum tritt die AGA vorwiegend erst im höheren Alter auf? Im Alter nimmt die Vitamin-D-Produktionskapazität der Haut deutlich ab (nach Zittermann[10] auf etwa 30 Prozent der Produktionskapazität in den Jugendjahren) und die Anzahl der im Laufe des Lebens insgesamt durchlaufenen Vitamin-D-Mangelzustände nimmt zu. Diese beiden Effekte werden im Alter durch Vergrößerung der wirksamen Fläche der Glatze kompensiert.

3) Warum hat die Glatze genau diese Form und Ausrichtung? Aus den oben genannten Gründen hat das etwas mit dem aufrechten Gang des Menschen und dem Sonnenstand in nördlichen Breiten zu tun. Die Form der männlichen Glatze ist an die Hauptbewegungsrichtungen des Kopfes im UVB-Strahlungsfeld angepasst. Man erkennt dies sofort, wenn man die Grenzwinkel der Haupteinstrahlungsrichtungen der natürlichen UVB-Strahlung senkrecht auf die Kopfhaut projiziert. Die hauptsächlich vorkommenden Bewegungsvorgänge des Kopfes sind einerseits die Rotation um das Lot (bzw. um die z-Achse in einem kartesischen Koordinatensystem) und andererseits die Neigung des Kopfes nach vorne (Nickbewegung, zum Beispiel beim Blick auf den Boden). Daher liegt der hintere Rand der Glatze im Bereich der Tonsur meist deutlich tiefer als man zunächst aufgrund der berechneten Winkel erwarten würde.

4) Warum bleibt oft für lange Zeit eine Haarinsel im Bereich des Scheitels erhalten? In diesem Winkelbereich (für Poldistanzwinkel von 0 Grad bis etwa 25 Grad vom Lot im Scheitelpunkt gemessen - siehe Skizze) trifft in nördlichen Breiten nur sehr wenig direkte UVB-Strahlung senkrecht auf der Kopfhaut auf. Es ist daher nicht erstaunlich, dass in diesem Bereich das Haar erst später ausgedünnt wird. Dieser Bereich wird bei der Simulation näherungsweise durch die 25-Grad-Isokline beschrieben. Das ist auch der Grund für die Ausbildung der "Geheimratsecken". Dort, wo die Wirkung der Dorno-Strahlung (vor allem am Frühlingsanfang) am stärksten ist, weicht die Haargrenze zuerst zurück und in der Mitte des Kopfes bleibt noch für lange Zeit ein Restbestand von Haaren übrig.

5) Warum bleibt im Endstadium der Glatze ein Haarkranz stehen, der von oben betrachtet etwa eine Hufeisenform hat? Die flach eintreffende Sonnenstrahlung hat nur einen sehr geringen UVB-Anteil und einen hohen UVA-Anteil. Daher würde die Ausdünnung des Haares in dieser Randzone keine wesentliche Steigerung der Vitamin-D-Produktion bringen.

Die UVB-Kollektor-Hypothese lässt sich widerspruchsfrei sowohl mit der DHT-Hypothese als auch mit der genetischen Hypothese verbinden. Die UVB-Kollektor-Hypothese erlaubt somit eine völlig neue Sichtweise auf das "Problem" der männlichen Glatze. Bereits im Jahr 2007 hatte Péter Kabai[7] auf einen möglichen Zusammenhang zwischen UV-Strahlung und Androgenetischer Alopezie hingewiesen, aber seine Arbeit wurde bisher kaum beachtet. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass er bei seiner Hypothese noch nicht die Erkenntnisse von Martin Blomberg Jensen berücksichtigen konnte. Außerdem weist Kabais Argumentation zwei wesentliche Schwachstellen auf: Erstens berücksichtigt Kabai nicht, dass nur die UVB-Strahlung (ziemlich genau bei einer Wellenlänge von 298 Nanometern) entscheidend ist und zweitens ist der Prostatakrebs bei jüngeren Männern ein zu seltenes Ereignis, um im Verlauf der Evolution des Menschen die natürliche Auslese in nennenswertem Umfang zu beeinflussen. Trotzdem ist es eine beachtliche Leistung von Kabai, bei noch unzureichender Datenlage die richtigen Schlüsse gezogen zu haben. Kabai schreibt in seinem Artikel, der im Jahr 2008 in der Fachzeitschrift "Medical Hypotheses" veröffentlicht worden ist:

"I propose that AGA evolved to elevate UV absorbance and thus to provide some protection against prostate cancer." (Im Original ohne Hervorhebung des entscheidenden Teiles des Satzes.)

Wir sehen also, dass Kabai bereits den evolutionären Mechanismus der AGA erkannt hat und die Beziehung zur UV-Absorption. Man könnte Kabais Hypothese damit als "UV-Absorber-Hypothese der AGA" bezeichnen. Der von Kabai postulierte Schutz vor Prostatakrebs ist aus meiner Sicht jedoch nur ein Nebeneffekt einer ausreichenden Vitamin-D-Versorgung, aber das ist ein ganz anderes Thema.

Ich fasse jetzt die UVB-Kollektor-Hypothese noch einmal kurz zusammen:

Man kann den Kern der UVB-Kollektor-Hypothese auch mit einem einzigen Satz beschreiben:

Die Form der männlichen Glatze ist optimal an die natürliche UVB-Strahlung angepaßt.


Nach all diesen theoretischen Überlegungen möchte ich nun zur Frage der praktischen Anwendung dieser Hypothese kommen. Was kann man zum Beispiel einem jungen Mann raten, der bereits im Alter von zwanzig Jahren die ersten Anzeichen von Geheimratsecken auf seiner Stirn entdeckt? Die Geheimratsecken sind ein sicheres Zeichen dafür, dass der aktive Ausdünnungsprozess der Androgenetischen Alopezie bereits gestartet worden ist und sie zeigen an, dass der betreffende Mann über die notwendige genetische Ausrüstung zur Entwicklung des UVB-Kollektors verfügt. Aus der UVB-Kollektor-Hypothese lassen sich nun vier Empfehlungen ableiten, die möglicherweise dazu beitragen können, die Entwicklung der Glatze zu verzögern:

Die hier gegebenen Empfehlungen können mit geringem Aufwand umgesetzt werden. Alle hier gegebenen Ratschläge gelten natürlich nur unter dem Vorbehalt, dass sich die UVB-Kollektor-Hypothese in den kommenden Jahren als stichhaltig erweist. Bedenken Sie bitte beim Lesen dieses Aufsatzes, dass die UVB-Kollektor-Hypothese durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse widerlegt werden könnte. Es ist also durchaus möglich, dass sich einige Teile der UVB-Kollektor-Hypothese zukünftig als fehlerhaft erweisen werden.


Literaturhinweise:

  1. Blomberg Jensen M: Vitamin D and male reproduction. Nature Reviews Endocrinology 2014; 10, 175-186.

  2. Blomberg Jensen M: Vitamin D metabolism, sex hormones, and male reproductive function. Reproduction 2012; 144, 135-152.

  3. Blomberg Jensen M, Dissing S: Non-genomic effects of vitamin D in human spermatozoa. Steroids 2012; 77, 903-909.

  4. Blomberg Jensen M, Bjerrum PJ, Jessen TE, Nielsen JE, Joensen UN, Olesen IA, Petersen JH, Juul A, Dissing S, Jørgensen N: Vitamin D is positively associated with sperm motility and increases intracellular calcium in human spermatozoa. Hum Reprod. 2011 Jun; 26(6): 1307-17.

  5. Hintzpeter, Birte: Vitamin D Status in Germany: Prevalence of Vitamin D Deficiency, Determinants and Potential Health Implications. ISBN: 978-3-89959-782-0, Marburg / Lübeck / Tönning, Der Andere Verlag, 2008.

  6. Hollis BW: Circulating 25-Hydroxyvitamin D Levels Indicative of Vitamin D Sufficiency: Implications for Establishing a New Effective Dietary Intake Recommendation for Vitamin D. J. Nutr. 2005; 135: 317-322.

  7. Kabai P: Androgenic alopecia may have evolved to protect men from prostate cancer by increasing skin exposure to ultraviolet radiation. Medical Hypotheses 2008; 70, 1038-1040.

  8. Kimlin MG: Geographic location and vitamin D synthesis. Molecular Aspects of Medicine 2008 Dec; 29(6): 453-461. DOI: 10.1016/j.mam.2008.08.005

  9. Maxwell JD: Seasonal variation in vitamin D. Proceedings of the Nutrition Society 1994; 53, 533-543.

  10. Zittermann, Armin: Vitamin D in der Präventivmedizin. ISBN 978-3-8374-1249-9, Bremen, UNI-MED-Verlag, 2. Auflage, 2012.


Zitationsvorschlag:

Siegfried Schmitt: Die UVB-Kollektor-Hypothese der Androgenetischen Alopezie. Karlsruhe, 2018.
Version 2018-04-10 vom 10. April 2018.
URL: http://www.kaliv.de/UVB-Kollektor-Hypothese_der_AGA.html
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